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NÜRNBERG & REGION SEITE 17 | SAMSTAG 31. MAI 2025
von Alexander Brock und Tobi Lang

Warum musste Qabel A. sterben?
In Nürnberg wird ein Mann durch Polizeischüsse getötet. Ein Anwalt und die Familie erheben Vorwürfe.


Es ist der 4. März 2025 kurz nach 8 Uhr. Eine Streifenbesatzung der Polizeiinspektion Nürnberg-Süd erhält den Auftrag, einen Haftbefehl zu vollstrecken. Die Adresse: Heisterstraße 24.


Nach Information der Redaktion ist der Haftbefehl auf Antrag der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth bereits am 15. Juli 2024 ausgestellt worden - also mehr als sieben Monate vor dem Einsatz. Die Streife, ein Polizist und eine Polizistin, macht sich auf den Weg in die Heisterstraße im Nürnberger Stadtteil Werderau. Die Beamten wollen den 38 Jahre alten Qabel A. in seiner Wohnung festnehmen und einem Ermittlungsrichter vorführen, der über eine Untersuchungshaft entscheiden soll. Doch dazu wird es nie kommen, der Einsatz endet tödlich - für den Gesuchten. Nach einer „körperlichen Auseinandersetzung“ in dem Ein-Zimmer-Apartment, so die Staatsanwaltschaft, soll sich A. mit einem
„Küchenmesser bewaffnet“ haben. Erst zwei Kugeln aus einer Dienstwaffe stoppten ihn. Kurz nach den Polizeischüssen war ein Großaufgebot in die Heisterstraße im Süden Nürnbergs ausgerückt – darunter auch Spezialeinsatzkräfte, die Qabel A. reanimierten. Doch für den 38-Jährigen kam jede Hilfe zu spät.


Auch über zwei Monate nach den Schüssen ist die Familie entsetzt. Und nicht nur sie stellt sich Fragen. Eine linksorientierte Initiative fordert im Internet „Gerechtigkeit für Qabel“, bei einer Demonstration prangern Aktivisten eine „rassistische Mordserie der Polizei“ an. Der tragische Vorfall wird politisch instrumentalisiert, ehe feststeht, was geschehen ist. Tatsächlich gebe es „eine ganze Reihe an Ungereimtheiten“, sagt Robert Brütting, der als Nebenkläger die Interessen der Angehörigen des Getöteten vertritt. „Das Scheitern war vorprogrammiert. Der gesamte Einsatz war fast schon dilettantisch“, sagt der Nürnberger Strafverteidiger. „Das wirft maximal viele Fragen auf.“ Es beginnt mit dem Grund für den Haftbefehl: Fluchtgefahr. Zum Zeitpunkt des Erlasses im Juli soll Qabel A. keinen festen Wohnsitz gehabt haben. Belegt ist allerdings, dass der Kampfkunstlehrer seit September 2024 in der Heisterstraße 24 beim Nürnberger Einwohneramt gemeldet ist. Aus Sicht des Anwalts hätten die Haftgründe ab diesem Zeitpunkt nicht mehr vorgelegen. „Der Haftbefehl hätte aufgehoben werden müssen“, sagt Brütting.


Auch die Polizei wusste offenbar von A.s Wohnadresse, denn: Mehrere Schreiben in der Ermittlungssache gingen an die Heisterstraße. Die Staatsanwaltschaft entgegnet in diesem Zusammenhang auf Nachfrage: „Von der Anmeldung in der Heisterstraße“ habe man erst „kurz vor dem Vollstreckungsversuch Kenntnis erlangt“. Eine Meldung beim Einwohneramt belege zudem nicht, dass der Gemeldete auch tatsächlich dort seinen festen Wohnsitz hatte und keine Fluchtgefahr mehr vorgelegen habe. „Nach der Festnahme aufgrund eines Haftbefehls erfolgt immer die Vorführung beim Ermittlungsrichter, der dann darüber entscheidet, ob die Voraussetzungen des Haftbefehls, unter anderem die Fluchtgefahr, noch vorliegen. Wenn in diesem Zusammenhang ein fester Wohnsitz hätte festgestellt werden können, wäre eine Außervollzugsetzung
des Haftbefehls oder dessen Aufhebung in Betracht gekommen“, erklärt Oberstaatsanwältin Heike Klotzbücher.


Doch aus welchem Grund ist der Haftbefehl gegen den 38-Jährigen beim zuständigen Richter im Amtsgericht beantragt worden? Es geht um eine
einfache Körperverletzung. Nach Informationen der Redaktion hatte es
einen Streit zwischen dem 38-Jährigen und Mitgliedern einer Kampfsportschule
aus Zirndorf gegeben. Dabei soll er zwei Kontrahenten verletzt haben. Das bestätigt auch die Staatsanwaltschaft auf Anfrage.


Qabel A. war ein Kampfkunstlehrer, der seinen Schülern Gewaltlosigkeit beibrachte, auch der Polizei gegenüber. Es gab wohl aber Situationen, in denen der Wing-Tsun-Sportler sein eigenes Credo über Bord warf. Mehrfach soll er sich nach Informationen der Redaktion Polizisten widersetzt haben, beispielsweise am 15. Juli 2024, dem Tag, an dem der Haftbefehl ausgestellt wurde. Beamte versuchten wohl, Qabel A. festzunehmen - und scheiterten.


Das Wort „Kampfkunstlehrer“ steht auch auf dem Haftbefehl, der am 4. März und damit erst sieben Monate später vollstreckt werden sollte. Haftbefehle haben eine Gültigkeit von zwei Jahren. Die Polizisten, so der Anwalt, hätten ahnen können, dass es sich um einen Mann handele, der sich wehren könne - und es im Zweifel auch tue. „Warum hat man ihn dann mit zwei Beamten in diesem verwinkelten Haus ohne Rückzugsmöglichkeiten festnehmen wollen?“, fragt Anwalt Brütting und macht damit weniger den Polizisten selbst als den direkten Vorgesetzten des fatalen Einsatzes Vorwürfe.


Unsere Redaktion konnte die Tatort-Wohnung besichtigen. Qabel A.s Ein-Zimmer-Apartment ist gerade einmal 34 Quadratmeter groß – die tödlichen Schüsse spielten sich höchstwahrscheinlich auf einer nur drei Quadratmetern großen Fläche ab, und zwar dem Eingangs- und Küchenbereich der Wohnung in der Heisterstraße. In diesem Teil der Wohnung wurde sowohl A.s Leiche als auch der Großteil seines Blutes gefunden. Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft soll der geübte Kampfsportlehrer hier zu einem Küchenmesser gegriffen haben. Sollte es so passiert sein, stand er dabei sehr nah an den Polizisten - diese hatten also wahrscheinlich nur Sekundenbruchteile, um zu reagieren. Einer von ihnen
entschied sich für den Griff zur Waffe und feuerte die zwei tödlichen
Schüsse ab.


Polizeischüsse dürfen immer nur die „Ultima ratio“ sein, das allerletzte,
weil meistens tödliche Mittel, um sich oder andere in einer akut lebensgefährlichen
Situation zu schützen. „Der Obduktionsbericht aber wirft Fragen auf, ob das hier so war“, sagt Brütting und verweist auf die „Art und Weise“ der Verletzungen.

„Beim ersten Schuss muss der Polizist laut Obduktionsbericht rechts, seitlich leicht nach hinten versetzt, vom Getöteten gestanden haben. Er traf in der rechten Körperhälfte. Der zweite Schuss traf A. dann links, leicht von oben nach unten verlaufend“, sagt der Anwalt und vermutet, dass A. sich von den Beamten weggedreht hatte. „Das schließt in dem drei Meter langen Gang eine direkte Notwehrsituation gegenüber dem Schützen fast aus.“


Doch war es wirklich so? Könnte Qabel A. nicht beispielsweise mit einem
Messer auf die Polizisten zugestürmt sein und sich kurz vor den Schüssen
weggedreht haben, etwa weil er den Beamten verfehlt hatte? Möglich wäre es, doch: Tatsächlich reichen auch die Unterlagen, die unserer Redaktion vorliegen, nicht für ein schlüssiges Bild aus. Vorstellbar ist vieles, die Anzahl der möglichen Szenarien ist groß. Antworten kann vorerst nur eine Untersuchung des Landeskriminalamtes (LKA) liefern, die allerdings noch läuft. Die Polizei äußert sich mit Blick auf die laufenden Ermittlungen nicht.


Anwalt Robert Brütting und die Familie des Getöteten haben erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Schüsse. „Es muss geprüft werden, ob es sich um Nothilfe oder auch einen Nothilfeexzess gehandelt haben könnte“, erklärt der Jurist. „Beide Schüsse waren für sich genommen tödlich, schon beim ersten ist seine Lunge kollabiert und das Herz wurde getroffen. Er war handlungs- und kampfunfähig. Der zweite Schuss macht absolut keinen Sinn mehr.“


Qabel A.s Tod, so viel ist für die Familie und den Nebenklage-Anwalt sicher,
sei unnötig gewesen. Gegen ihn habe nur ein Haftbefehl wegen Fluchtgefahr bestanden - es ist sehr wahrscheinlich, dass er nach einer Vorführung vor dem Ermittlungsrichter aufgehoben worden wäre. Denn der Nürnberger hatte einen festen Wohnsitz. „Und jetzt ist der Vater von zwei Kindern tot“, sagt Brütting. „Das ist so sinnlos und muss umfassend aufgeklärt werden.“


Die Schussabgabe gehört bei der Polizei zur Ultima Ratio. Jeder Gebrauch
der Dienstwaffe wird dokumentiert und festgestellt, ob der Einsatz gerechtfertigt
war. In solchen Fällen übernimmt das Landeskriminalamt die Ermittlungen in Zusammenarbeit mit der zuständigen Staatsanwaltschaft.

Während in anderen Bundesländern benachbarte Dienststellen das Verfahren
übernehmen, ist sie in Bayern der übergeordneten Behörde zugeschrieben.
Der Grund: den größtmöglichen Abstand der beteiligten Beamten
herzustellen , um Befangenheit auszuschließen.


Im vergangenen Jahr schossen Polizisten in Bayern neunmal auf Personen.
Dabei wurden vier getötet und fünf verletzt . Verglichen mit den Jahren ab 2019 ist das der höchste Wert an Getöteten. Das Innenministerium hat nach einer Anfrage der Grünen konkretisiert, dass 2024 in Bayern nur drei Personen durch den Schusswaffengebrauch durch Einsatzkräfte der Landespolizei getötet worden seien. Die vierte Person sei durch die Bundespolizei getötet worden, die dem Bundesinnenministerium untersteht.


Die Schusswaffe kommt bei Polizisten dann zum Einsatz, wenn sie von
einer Lebensgefahr für sich und andere Personen ausgehen müssen. So einen Fall hat es auch in Bad Windsheim gegeben, als am 5. April 2024 ein 31-jähriger Mann eine Schusswaffe auf zwei Beamte richtete und keine Anstalten machte, diese trotz mehrfacher Aufforderung abzulegen.


Die Einsatzkräfte verletzten den Mann mit ihren Waffen schwer. Später stellte sich heraus, dass es sich bei der Waffe des 31-Jährigen um eine Schreckschusspistole handelte, die einer echten ähnlich sieht.


Florian Kriesten, Bezirksvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) ist sich sicher, dass die Ermittler nach solchen Vorfällen „nichts unter den Tisch kehren“. Im Gegenteil. „Es wird mit besonderer Härte gegen die Kolleginnen und Kollegen ermittelt . Sie stehen im Feuer“, sagt er. Es würde sogar ohne das Vorliegen eines Anfangsverdachts eines Cannabiskonsums der Beamten nachgegangen. „Die Beamten werden wie im Fall von Bad Windsheim fast schon genötigt, Haarproben abzugeben.“ Für Gewerkschafter Florian Kriesten ist klar: „Jeder Polizist ist dankbar, wenn er in seinem Berufsleben die Dienstwaffe nicht benutzen muss.“



Mein Leserbrief an die NN /  Nürnberg zum Artikel vom 31.5.2025 „Warum musste Quabel A. sterben?“


Polizisten erschießen immer häufiger Menschen…
Mit Entsetzen verfolge ich, wie hier in Deutschland immer mehr Menschen von Polizisten tödlich verletzt werden. Ist es die Angst, die die Polizisten so handeln läßt, oder ist es einfach das falsche (Waffen-)Training und/oder falsche Zielvorgaben durch deren Vorgesetzte?


Ich halte es für völlig falsch, wenn Polizisten bei Schießübungen vor allem den Schuß aufs Herz (die Mitte) üben. Viel wichtiger ist es, wenn bei diesem Training gelehrt bzw. geübt wird vorrangig auf „nicht“ tödliche Stellen zu zielen (z. B. Beine und Schulterbereich). Einem gut geschulten und geübten Schützen wird es dann nicht schwerfallen, dies überlegt und in Abwägung der Gefahrensituation zu tun.
Freilich gibt es Situationen, wie z. B. überraschende Schüsse aus dem Auto heraus, wildes herumballern und dabei Gefährdung von Menschenleben, welche keine Zeit zum Überlegen lassen, und dann sofort (auch zum Schutz des eigenen Lebens) bestmöglich reagiert werden muss.


Gerade diese Not-Situation dürfte aber bei Quabel nicht der Fall gewesen sein. Die Behauptung der damals beteiligten Polizisten, dass Quabel ein Messer gezogen hätte, halte ich für sehr dreist und unglaubwürdig.


Ein WingTsun-Kämpfer zieht kein Messer, stattdessen lernt er wie man einen „Angreifer“ mit Messer (oder Schlagstock) abwehrt bzw. entwaffnet. Auch Quabel hat im Rahmen des WingTsun gelernt sich „gegen“ Messerangriffe zu verteidigen. Als angesehener WingTsun-Lehrer beherrschte Quabel sein Handwerk.


Aufgrund seiner langjährigen Ausbildung und seines Könnens würde Quabel (sprich jeder WingTsun-Kämpfer) grundsätzlich kein Messer ziehen, erst recht nicht gegen die Polizei und/oder gegen Pistolenträger. Auf diese kurze Distanz und in dieser Situation kann jeder sowieso nur verlieren.


Wenn die Polizei damals meinte auf Quabel schießen zu müssen, hätte ein gezielter und „nicht“ tödlicher Schuss ausgereicht.Der 2. Schuß auf Quabel, der wahrscheinlich auch tödlich war, hätte überhaupt nicht mehr sein müssen. Auf diese Distanz (und in der kleinen Wohnung) sollte ein geübter Polizei-Schütze es problemlos schaffen, einen eventuellen Angreifer z. B. ins Bein zu schießen, ohne ihn gleich töten zu müssen!


Ich verurteile das Verhalten der Polizei und hoffe, dass die deutsche Polizei aus diesen „tödlichen“ Fehlern lernt...!?


Peter Birkel
Bogenstr. 5
91233 Neunkirchen
Tel. Nr. 09123/14957









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